Kurz, wild und widersprüchlich – Mein Haarschnitt als Spiegel der Gesellschaft
- biancastrub
- 23. März
- 3 Min. Lesezeit

Als Kind hatte ich kurze Haare. So kurz, dass mich viele für einen "kleinen, süssen Jungen" hielten – selbst mit Ohrringen. Die Gleichung schien einfach: Kurze Haare = Junge, lange Haare = Mädchen. Als meine Haare wuchsen, passte ich mich an. Nicht bewusst, sondern weil es "normal" war. Frauen haben lange Haare. Punkt.
Letzte Woche habe ich sie wieder abgeschnitten. Richtig kurz. Für mich nichts Besonderes – ich experimentiere gern mit meinem Aussehen. Grau mit Ende 30? Hatte ich schon. Komplett tätowiert? Auch erledigt.
Was mich aber überrascht hat, waren die Reaktionen. Frauen meinten fast durchweg, wie mutig das sei. Männer schauten skeptisch. "Steht dir, aber..." lag unausgesprochen in der Luft.
Wie normal muss normal sein?
Warum gilt es als mutig, wenn jemand von der Norm abweicht? Warum bewundern wir Menschen, die anders sind, doch empfinden es als unbequem, wenn wir selbst vor der Entscheidung stehen, aus dem Rahmen zu fallen?
Wir sind geprägt von Bildern, die uns Sicherheit geben. Ein "schönes" Gesicht ist symmetrisch. Eine "weibliche" Frau hat lange Haare. Ein "erfolgreicher" Mensch arbeitet viel. Diese Vorstellungen sind wie ein unsichtbares Netz, das uns hält – und gleichzeitig einschränkt.
Die Meinung anderer ist oft wichtiger, als wir zugeben wollen. Ich beobachte, wie Menschen sich durch fremde Augen definieren, anstatt sich zu fragen: Fühle ich mich wohl?
Für mich spielt das kaum eine Rolle. Vielleicht wirke ich deshalb manchmal kompromisslos oder egoistisch. Doch für mich bedeutet es Freiheit. Gerade weil ich mich keiner Gruppe anpassen muss, stehen mir alle Möglichkeiten offen.

Zugehörigkeit – unser grösstes Ziel
So frei wir uns auch fühlen mögen, am Ende gibt es eine Wahrheit, die wir kaum leugnen können: Wir alle wollen dazugehören. Wir wollen geliebt, anerkannt und gesehen werden. Wir sind soziale Wesen – und Zugehörigkeit ist tief in unserem Überlebensinstinkt verankert.
Früher sicherte Zugehörigkeit das Überleben. Wer ausgeschlossen wurde, hatte schlechte Karten. Heute ist das anders – und doch bleibt die Angst: Was, wenn ich nicht mehr dazugehöre? Wenn ich mich zu sehr verändere?
Und Zugehörigkeit geht weit über Äusserlichkeiten hinaus. Sie beeinflusst unsere Jobs, unsere Beziehungen, unsere Entscheidungen. Wir orientieren uns daran, was von uns erwartet wird:
Ein sicherer Job, der sich gut macht. Selbst wenn er uns nicht erfüllt.
Eine Partnerschaft, die nach außen funktioniert. Auch wenn sie uns innerlich leer zurücklässt.
Eine Familie, die dem Idealbild entspricht. Auch wenn es uns erdrückt.
Eine sportlich-dünne Figur... selbst wenn wir ständig verzichten müssen.
Es gibt so viele unausgesprochene Regeln darüber, wie man zu sein hat, um Teil der Gemeinschaft zu bleiben. Und wenn wir ausbrechen? Dann riskieren wir, diese Zugehörigkeit zu verlieren – und damit vielleicht auch Liebe, Sicherheit, Akzeptanz.

5 Tipps, wie du dich aus diesen gesellschaftlichen Erwartungen lösen kannst
Frage dich: Will ich das wirklich – oder tue ich es, um anderen zu gefallen?
Brich kleine Regeln: Probier bewusst etwas aus, das nicht „erwartet“ wird.
Umgib dich mit Menschen, die dich sehen – nicht deine Maske.
Feiere deine Andersartigkeit: Was macht dich einzigartig? Mach es grösser!
Erinnere dich: Zugehörigkeit bedeutet nicht, dich selbst zu verlieren.
Die Angst vor dem Alleinsein
Aber bedeutet "nicht mehr dazugehören" wirklich, allein zu sein? Oder bedeutet es vielmehr, Menschen zu verlieren, die uns nur akzeptieren, solange wir in ihr Bild passen?
Ich habe mich nie wirklich verloren gefühlt, gerade weil ich mich nicht von einer Gruppe abhängig mache. Das gibt mir Freiheit. Aber es bedeutet auch, dass ich oft irgendwo zwischen den Stühlen stehe – nicht fest verankert, aber mit offenen Türen in viele Richtungen.
Mein Lehrer sagte einmal: "Wenn du nicht zu einer Gruppe passt, gründe deine eigene." Und ich fühle das! Ich gehöre zu mir. Das gibt mir die Freiheit, überall zu sein, ohne mich verbiegen zu müssen.
Warum triggert ein Haarschnitt?
Es ist doch nur ein Haarschnitt, oder? Eigentlich ja. Und doch zeigt er, wie tief unsere Prägungen sitzen. Dass Frauen mit kurzen Haaren als "mutig" gelten und Männer mit langen Haaren als "rebellisch", sagt mehr über unsere Gesellschaft aus als über die Haare selbst.
Ich liebe es, diese Muster sichtbar zu machen. Nicht aus Protest, sondern weil ich die Welt gern hinterfrage. Vielleicht sollten wir das alle öfter tun – und uns fragen, welche Normen wir stillschweigend übernehmen, obwohl sie längst überholt sind.
Denn am Ende ist es doch so: Wer sich wohlfühlt, strahlt das aus. Egal, ob mit langen Haaren, kurzen Haaren oder gar keinen.

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